young artist from innsbruck
Wie nun der Philosoph zur Wirklichkeit des Daseins, so verhält sich der künstlerisch erregbare Mensch zur Welt des Traumes: er sieht genau und gerne zu: denn aus diesen Bildern deutet er sich das Leben, an diesen Vorgängen übt er sich für das Leben. Nicht nur etwa die angenehmen und freundlichen Bilder sind es, die er mit jener Allverständigkeit an sich erfährt: auch das Ernste, Trübe, Traurige, Finstere, die plötzlichen Hemmungen, die Neckereien des Zufalles, die bänglichen Erwartungen, kurz die ganze göttliche Komödie des Lebens, mit dem Inferno zieht an ihm vorbei, nicht nur wie ein Schattenspiel, denn er lebt und leidet mit in diesen Szenen — und doch auch nicht ohne jene flüchtige Empfindung des Scheines; und vielleicht erinnert sich mancher, gleich mir, in den Gefährlichkeiten und Schrecken des Traumes sich mitunter ermutigend und mit Erfolg zugerufen zu haben: Es ist ein Traum! Ich will ihn weiter träumen! Wie man mir auch von Personen erzählt hat, die die Kausalität eines und desselben Traumes über drei und mehr aufeinanderfolgende Nächte hin fortzusetzen im Stande waren: Tatsachen, welche deutlich Zeugnis dafür abgeben, dass unser innerstes Wesen, der gemeinsame Untergrund von uns allen, mit tiefer Lust und freudiger Notwendigkeit den Traum an sich erfährt. Dass alle die Gestalten, die die großen Dichter geschaffen, von einem Traumhauch umwittert sind. Was nicht Traumcharakter hat, ist nicht schön, nicht vollendet, nicht poetisch, nicht wahrhaft künstlerisch.
- Sigismund Schlomo Freud